
Tobias Maurer und Dietmar Allgaier
Für das achte Ofengespräch freue ich mich, Dietmar Allgaier bei mir auf der
Ofenbank begrüßen zu dürfen. Er ist seit 2019 Landrat des Landkreises Ludwigsburg und seit 22. März 2025 Präsident des VfB Stuttgart. Zuvor hat er das Amt schon seit August 2024 interimsweise inne. Seine Wurzeln liegen in der Region. Seine Liebe zum Fußball wurde durch seine Frau geweckt, seine Führungsqualitäten durch viele Jahre politischer und kommunaler Arbeit geprägt.
Er hört zu, schafft Rahmenbedingungen – und denkt den Verein im Wortsinn der Vereinigung aller Abteilungen. Dass er familiäre Wurzeln im Bäckerhandwerk hat, macht seinen Besuch bei uns umso stimmiger.
TM: Ich freu mich, dass du heute hier bist, Dietmar. Natürlich weil du Präsident des VfB Stuttgart bist, vor allem aber auch, weil du jemand bist, der Verantwortung mit Wärme lebt – leise, klar, zugewandt. Wir haben uns über die Jahre oft gesehen, gesprochen, mal bei Spielen, mal im Austausch über gemeinsame Themen. Aber das hier heute – das ist eine besondere Bühne: unsere Ofenbank.
DA: Ich bin gerne gekommen. Weil ich eure Arbeit schätze – und das Format mag. Besonders freue ich mich, deine Backstube kennenzulernen. Ist ja für mich in gewisser Weise ein Heimspiel, denn habe ich dir schon erzählt, dass ich Wurzeln im Bäckerhandwerk habe?
TM: Nein, aber klingt natürlich spannend.
DA: Mein Urgroßvater führte seinerzeit die Bäckerei Seemüller. Die gibt’s heute nicht mehr, aber eine alte Kassentruhe aus dem ehemaligen Laden stand früher immer bei meiner Oma und jetzt bei uns zuhause. Die oberste Schublade war damals die Kasse. Die Truhe erinnert mich heute noch an meine Kindheit, meine Großeltern und an den Duft von frisch gebackenem Brot.
TM: Das ist schön – für mich ja der Duft der Düfte. Wir haben bei uns in der Linsenhalde auch viele alte Schätze aus dem letzten Jahrhundert. Und es zeigt mal wieder: aus dem Bäckerhandwerk kann man viel machen. Man kann wie Jürgen Klinsmann Bundestrainer werden oder eben wie du Präsident vom VfB Stuttgart.
DA: Genau. Ich selbst kann zwar nicht so gut backen, halt nur kleine Brötle, aber ist schon was dran: Man sollte allen jungen Menschen raten, erstmal das Bäckerhandwerk zu lernen und sich dann zu überlegen, was der nächste Karriereschritt ist. Denn eine Bäckerlehre bringt dir fürs Leben wahrscheinlich mehr als manches Studium. Früh aufstehen, zuverlässig sein, Verantwortung tragen – das sind Werte, die bleiben und in allen Bereichen des Lebens Halt geben können.
TM: Jetzt hast du es ohne Bäckerlehre so weit geschafft. Erzähl uns doch mal, wie dein Weg zum VfB war.
*E.V.
Der VfB Stuttgart ist als eingetragener Verein (e.V.) organisiert und zählt mit 122.000 Mitgliedern zu den größten Sportvereinen Deutschlands. Trotz der Ausgliederung der Profifußballabteilung im Jahr 2017 hält der e.V. weiterhin die Mehrheit der Anteile. Dies ermöglicht den Mitgliedern, über zentrale Vereinsangelegenheiten mitzubestimmen.
Der am 9.9.1893 als FV Stuttgart gegründete Club fusioniert 1912 mit dem Kronen-Club Cannstatt zum Verein für Bewegungsspiele. Seit 1925 trägt das Team den traditionellen roten Brustring.

DA: Ganz ehrlich: es hat ganz viel mit Liebe zu tun. Meine Frau hat mir den Weg zum Verein quasi vorgegeben. Sie selbst kam aus einer VfB-Familie. Mit sechs Jahren war sie das erste Mal mit ihrem Vater im Stadion. Als wir uns – ich sag’s mal im Fußballjargon – in der Saison 1987/88 kennengelernt haben, hat sie mir unmissverständlich gesagt: „Wenn das mit uns was werden soll, dann musst du mit ins Stadion.“ – Viel Überzeugungsarbeit war aber nicht zu leisten, weil es mir ebenso viel Freude gemacht hat. Wir hatten dann auch recht bald eine Dauerkarte im Block B. Nicht überdacht, aber dafür mit grandioser Stimmung. Als die Kinder dann Anfang 2000 zur Welt gekommen sind, konnten wir leider nicht mehr so häufig gehen. Die Liebe zum Verein ist geblieben. 2008 hat es mich dann wieder gepackt. Die Kinder waren größer und wir konnten uns wieder unserem VfB widmen.
TM:2016 haben wir uns beide dann kennengelernt – natürlich im Stadion. Ich weiß noch, dass du mal gesagt hast, dass man dort zwei Veranstaltungen hat: eine auf dem Rasen – und eine mit den Menschen rundherum.
DA: Stimmt, das habe ich oft so empfunden. Das war übrigens auch die Zeit, in der ich gefragt wurde, ob ich ehrenamtlich in den Mitgliederausschuss möchte. Ich erinnere mich gerne an die Zeit zurück. Wir haben gemeinsam gefeiert und gelitten. Durch zwei Ligen sind wir gegangen.
TM: Die 2. Liga war für mich auch bewegend. Nie mit Gefühl von „keine erste Liga“ – das Stadion war immer voll und die Stimmung unglaublich. Gerade in solchen Phasen spürt man die Vereinskultur. Dann kam der Wiederaufstieg und irgendwann auch deine Präsidentschaft. Aber es war kein klassischer „Karriereschritt“, oder?
DA: Nein, es war für mich eine große Überraschung. Ich bin ein paar Monate vorher aus meinem Ehrenamt raus und hatte eigentlich ein bisschen Abstand nehmen wollen. Aber wie’s manchmal so ist, kam die Mitgliederversammlung 2024 – und der Verein stand vor großen Problemen. Ganz offen: es sah fast aussichtslos aus. Eines Montagabends, wir saßen mit Freunden beim Italiener mit Pizza und Wein, klingelte mein Handy. Als ich den Namen des Vereinsbeiratsvorsitzenden Rainer Weninger gelesen habe, wusste ich: Wenn ich jetzt rangehe, verändert sich was. Und genau so kam es auch. Mir wurde interimsweise die Präsidentschaft angeboten. Ich habe eine Nacht darüber geschlafen, mit meiner Frau gesprochen – und entschieden, dass ich es mir vorstellen kann. So kam der Stein ins Rollen. Aber wir durften keine Zeit verlieren. Ich habe mich einen Tag später mit dem Vereinsbeirat getroffen. Sie haben sich zur Beratung zurückgezogen. Abends war ich dann auf einem PUR-Konzert. Erneut klingelte das Handy. Verstanden habe ich zunächst kein Wort, weil es so laut war. Also habe ich mich in eine ruhigere Ecke zurückgezogen.
Mir wurde gesagt, man hätte mich gerne als Präsident. Und ich war mitten im „Abenteuerland“. Ab da ging’s Schlag auf Schlag. Ich musste mich mit dem Regierungspräsidium abstimmen – hauptberuflich war und bin ich ja Landrat in Ludwigsburg. Ich habe dann die Fraktionsvorsitzenden benachrichtigt, Politik, Führungskräfte. Gleich am Tag drauf um 13 Uhr ein kurzes Briefing, und um 14 Uhr schon die Pressekonferenz, in der meine Präsidentschaft verkündet wurde. Das war richtig Action – und ich habe es bis heute keinen Tag bereut. Im Gegenteil. Volle Energie für unseren VfB!
*A- und B‑Block
Die Stehblöcke A und B in der Cannstatter Kurve sind seit Jahrzehnten ein zentraler Begriff unter VfB-Fans. Bereits im Neckarstadion waren v. a. A‑Block-Tickets rar, wurden nur unter langjährigen Fans weitergegeben. Im neuen Gottlieb-Daimler-Stadion (1993) wurden alle Stadion-Bereiche nummeriert, doch A- und B‑Block blieben erhalten. Heute erinnert der Fantreff „A‑Block“ an frühere Zeiten.
TM: Und seitdem führst du den Verein. Das ist eine große Aufgabe, denn es geht ja um deutlich mehr, als das, was sich die meisten unter den 2 x 45 Minuten, Samstags um 15:30 Uhr so vorstellen. Kurzum: wie kannst du dem allem gerecht werden?
DA: Ein Verein ist nur so stark wie das Team, das ihn trägt – und meine Aufgabe ist es, dafür die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Ich sehe mich dabei als jemand, der Orientierung gibt, motiviert und ein großes Spielfeld öffnet, auf dem sich jeder entfalten kann – von den Vereinsabteilungen, über Geschäftsstelle bis zur Profimannschaft. Dazu gehört auch, sich mal zurückzunehmen und anderen bewusst Raum zu lassen. Ich werde zum Beispiel oft gefragt, ob ich vor den Spielen mit in die Kabine gehe. Die Antwort ist: extrem selten. Ich bin kein Trainer – das können andere deutlich besser als ich, und genau dafür sind sie da. Mein Job in meiner Rolle als Aufsichtsratsvorsitzender ist es, den strategischen Rahmen zu bereiten und so dafür zu sorgen, dass Trainer, Sportdirektoren und alle im Team unter idealen Bedingungen arbeiten können.
TM: Das ist bei uns in der Bäckerei ähnlich. Ich kann nicht überall sein, nicht alles steuern und vor allem auch nicht mehr selbst Brot backen. Ich kann aber dafür sorgen, dass die Teams Vertrauen haben, dass jeder die richtigen Geräte hat, das die Systeme und Abläufe passen. Das ist keine Kleinigkeit. Und beim VfB ist ja auch das Besondere: Es geht nicht nur um die Profimannschaft.
DA: Nein, wir haben neben dem Profi-Fußball auch noch den e.V. mit acht Abteilungen – darunter Leichtathletik – mit Paralympics-Sieger Niko Kappel und Zehnkampf-Silbermedaillengewinner Leo Neugebauer –, Hockey, Faustball, Frauenfußball, die Traditionsabteilung und die größte Schiedsrichter-Abteilung in der Liga. Unsere Frauen sind frisch in die 2. Liga aufgestiegen. Da steckt unglaublich viel Leidenschaft drin – und das meiste passiert ehrenamtlich. Mit inzwischen über 120.000 Mitgliedern – allein im letzten Jahr sind 30.000 dazugekommen – ist der VfB der größte Verein der Region. Das wird neben dem Profifußball oft übersehen, aber auch gerade darauf sind wir besonders stolz.
TM: Diese Breite ist das, was einen echten Verein ausmacht. Vielfalt vereint – das klingt einfach, ist aber eine echte Herausforderung. Gerade wenn Abteilungen so unterschiedlich ticken. Es ist wie bei uns mit den Bäckerei-Cafés und der Backstube: Der Betrieb lebt von der Vielfalt. Aber diese Vielfalt braucht auch Räume der Begegnung, um ein gemeinsames Wir zu schaffen.
*Stiftung
Die VfB Stiftung „Brustring der Herzen“ bündelt das soziale Engagement des Vereins – etwa in Jugendarbeit, Bildung, Integration und Klimaschutz. Ziel ist es, gute Projekte zu fördern, unterstützen und sichtbar zu machen.
DA: Deshalb veranstalten wir dieses Jahr erstmals ein abteilungsübergreifendes Sommerfest – so trifft die Leichtathletin den Hockeyspieler, der Faustballer die Tischtennisspielerin. Das ist gelebte Vielfalt, die uns eint – vereint im besten Sinne. Sie macht aus uns den einen VfB. Unser Ziel ist übrigens auch mehr Präsenz in der ganzen Region, auch in den kleineren Orten.
TM: Wenn man das so hört, merkt man: Dir geht’s um viel mehr, als nur erfolgreiche Abteilungen und gute Ergebnisse. Dir geht’s ums Weiterdenken. So auch bei der Entwicklung rund um das Stadion-Areal?
DA: Richtig. Wir stehen in sehr engem Austausch mit der Stadt Stuttgart. Es geht um die Infrastruktur – besonders für unsere Frauenmannschaften, den Nachwuchs und die weiteren Sportsparten des Vereins. Ganz wichtig: wir brauchen bessere Trainingsbedingungen und eine bessere Basis für langfristige Lösungen. In diesen Bestrebungen steckt die Energie drin, aus der wir alle gemeinsam erfolgreich Zukunft bauen.
TM: Bedeutet aber auch Verantwortung. Nicht nur für den Sport – sondern für die Gesellschaft. Das ist etwas, das ich bei dir sehr stark spüre. Und auch bei euch in der Stiftung.
DA: Das ist mir wirklich ein Anliegen. Wir fördern mit unserer VfB Stiftung „Brustring der Herzen“ Projekte wie die Nachsorgeklinik Tannheim, das Olgäle, Schulinitiativen, Umweltprojekte. Unsere Spieler engagieren sich unter anderem in der Vesperkirche. Und ich merke: Das berührt. Nicht nur die Menschen dort – auch unsere Spieler.
TM: Ich finde, wer wirtschaftlich gut dasteht, hat auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Es gibt viele Herausforderungen, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Da braucht es Engagement, Klarheit – und manchmal auch einfach Unterstützung. Deshalb engagieren wir uns bei der Tour Ginkgo, unterstützen kleine Sportvereine, helfen in Notsituationen – wie beim Hochwasser. Nicht, weil’s PR ist – sondern weil’s dazugehört. Das muss man auch alles unter einen Hut bekommen. Wie politisch und wie sportlich musst du denn sein als Präsident?
DA: Eine gute Frage. Klar, man muss den Sport lieben, ihn verstehen – aber man darf sich nicht einmischen, wo man nicht hingehört. So wie ich nicht in die Kabine gehöre. Ich bin viel wirkungsvoller in Gesprächen mit Repräsentanten, sei es im Land, der Liga oder auch international. Wenn’s was zu feiern gibt, bin ich trotzdem gerne mit dabei (lacht). Der Dialog mit den Fans, mit den Abteilungen, den Funktionsträgern ist mein Spielfeld. Und ich versuche, immer ein Ohr an der Basis zu haben. So höre ich am besten, wo der Schuh drückt, was gebraucht wird, was fehlt, wo Potenzial liegt. So können wir als Verein gemeinsam wachsen. Ich betone: gemeinsam!
TM: Ich versuche mal zusammenzuzählen wo man dich überall braucht – im Landratsamt, im Stadion, dem Präsidium beim VfB, bei all deinen dienstlichen wie ehrenamtlichen Verpflichtungen und nicht zu vergessen auch als Familienvater. Darf man fragen, wie du das schaffst?
*DFB-Pokal
Im DFB-Pokal treten unterklassige Teams in K.-o.-Spielen gegen Profiklubs an – und das nicht selten erfolgreich: die Hertha BSC Amateure erreichen 1993 das Finale und Hannover 96 wird als Zweitligist sogar Pokalsieger 1992 – der Pokal hat eben „seine eigenen Gesetze“.
DA: Darfst du. Und mein Geheimnis ist: Ich muss nicht abends ab 19 Uhr auf der Couch sitzen. Wenn ich abends bei einer Abteilungsleitersitzung bin, ist das für mich keine Last, ich mache das gerne. Das spürt auch meine Familie. Meine Frau hat mir vor der Zusage der Präsidentschaft gesagt: Du musst es selbst entscheiden – aber die ganze Familie weiß, dass dir das gut tut. Die Zeit beim VfB ist für mich durchweg positiv – auch beruflich. Meine beiden Aufgaben ergänzen sich gut. Natürlich bleibt auch was auf der Strecke: Saxofon und Klarinette spiele ich zum Beispiel nicht mehr.
TM: Unsere Tochter spielt Saxofon und Klarinette, unser Sohn Posaune. Das habe ich auch jahrelang gespielt – damals bei „Jugend musiziert“. Die Technik mit der Hand würde ich heute noch hinkriegen. Aber wenn man lange nicht übt, bekommt man keinen Ton mehr sauber über die Lippen. Der Ansatz ist einfach weg.
DA: Gut, dass das bei dir auch so ist. Dachte, es liegt an mir (lacht). Schöne Anekdote dazu: Wir hatten mal eine israelische Delegation zu Besuch. Leichtsinnig wie ich war, habe ich dem dortigen Musikschulleiter erzählt, dass ich früher Klarinette spielte. Er war so begeistert, dass er mir direkt das Versprechen abrang, beim nächsten Besuch in sechs Monaten gemeinsam zu musizieren. Und tatsächlich: Wochen später kam eine Mail mit dem Betreff: „You promised to play with me.“ Ich habe geübt – sehr zum Leidwesen meines Hundes, der Rest meiner Familie konnte ja flüchten. Und dann haben wir tatsächlich ein Duett zusammen gespielt. Ein besonderer Moment.
TM: Apropos besonderer Moment: Das Pokalfinale steht an. Bielefeld sollte von der Papierform zu schlagen sein – aber deren Weg ins Finale hat gezeigt, dass sich bislang alle Favoriten in der Arminia getäuscht haben. Was ist dein Tipp?
DA: (lacht) 3:1 für den VfB (Anmerkung: Gespräch vom 13. Mai). Ich glaub an das Team, an den Moment. Und ich glaube, das wird ein besonderes Spiel.
TM: Das glaube ich auch. Und wenn es so kommt, dann stoßen wir zusammen an! Danke für deine Zeit und Offenheit, Dietmar – und für alles, was du für den roten Brustring bewirkst, ganz ohne große Worte. Wer das liest, spürt: Hier führt jemand nicht um zu Glänzen, sondern um zu Ermöglichen.
DA: Danke, Tobias, für das Ofenbank-Gespräch über Werte, Zukunft und Zusammenhalt – und für den Mut zum Pokalfinal-Tipp. Der bleibt jetzt schwarz auf weiß. Ich halte mich da an die Worte meiner Großmutter: „Tue recht und scheue niemand.“ Dann braucht’s auch keine Angst vor der Zukunft.
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