Tobias Maurer und Jürgen Schweikardt
Zum fünften Ofengespräch habe ich Jürgen Schweikardt zu mir auf die Ofenbank eingeladen. Jürgen ist Geschäftsführer des TVB Stuttgart und hat den bemerkenswerten Aufstieg vom lokalen Handballverein TV Bittenfeld zum Bundesligisten TVB Stuttgart miterlebt und maßgeblich mitgestaltet.
TM: Jürgen, herzlich Willkommen in unserer Backstube!
JS: Danke, ich freue mich sehr, hier zu sein! Ich habe dir auch etwas mitgebracht: Einen Pokal für 25 Jahre Partnerschaft vom TVB. Ihr seid damit einer unserer langjährigsten Sponsoring-Partner.
TM: Es ist uns eine Ehre, vielen Dank! Wir haben euren bewegenden Aufstieg in die erste Liga live miterlebt. Ihr habt es geschafft, den ganzen Raum Stuttgart zu erobern und gleichzeitig eure Sponsoren und Fans aus der Heimat mitzunehmen!
JS: Wir sehen uns auch als Verein der Region, der seine Wurzeln weiterhin in Bittenfeld hat. Dort trainieren wir noch heute, obwohl wir seit 2012 alle Heimspiele in Stuttgart austragen. Wir mussten uns zu einem Verein für die Region Stuttgart weiterentwickeln, um uns langfristig in der oberen Liga zu halten. Alleine als Bittenfelder hätten wir das nicht geschafft.
TM: Das hast du auch immer betont. Ich kann mich noch gut an diese Zeit erinnern, als die Entscheidung fiel, die Spiele in Zukunft in Stuttgart auszutragen. Beeindruckend fand ich, dass du viel telefoniert und aktiv Meinungen eingeholt hast, um die besten Entscheidungen für den Verein zu treffen.
JS: Ab 2006 haben wir gelegentlich Highlight-Spiele in der Porsche-Arena ausgetragen und ansonsten in Bittenfeld gespielt. Als 2012 die Entscheidung anstand, alle Spiele in Stuttgart auszutragen, habe ich natürlich die Stimmung ausgelotet. Schnell wurde deutlich, dass wir eine breite Unterstützung für die Entscheidung haben. Es war allen klar, dass wir eine langfristige Planung für Bittenfeld brauchen. Winnenden und Waiblingen boten keine geeigneten Spielstätten. So fiel die Wahl auf Stuttgart und die SCHARRena.
TM: Wichtig für die Unterstützung war sicherlich auch der Shuttle-Service, den ihr angeboten habt. Den gibt’s ja auch heute noch, oder?
JS: Ja, der Shuttle-Service läuft noch und rentiert sich finanziell eigentlich nicht. Doch uns ging es in erster Linie darum, die Tradition der Bittenfelder zu bewahren. Früher ging man zu Fuß ins Vereinsheim, trank ein oder zwei Viertele, schaute dann das Spiel, ging erneut ins Vereinsheim und von dort zu Fuß wieder nach Hause. Diese Tradition wollten wir unbedingt wahren. Der Umzug nach Stuttgart hat sicherlich einige Gewohnheiten gebrochen, wurde jedoch nicht so kritisch gesehen.
TM: Kritischer war dann schon eher die Namensänderung 2015, oder?
JS: Ja, ich war damals bei vielen Stammtischgesprächen dabei, um für diese Entscheidung zu werben. Aus melancholischen Gründen wäre ich am liebsten auch mit dem TV Bittenfeld aufgestiegen. Doch für uns stellte sich die Frage, ob wir nur ein kurzes Gastspiel in der ersten Liga machen oder uns dort langfristig etablieren wollen. In den fünf Jahren zuvor sind von den 15 aufgestiegenen Teams 13 sofort wieder abgestiegen. Allen war klar: wir wollen bleiben. Dafür brauchten wir mehr Sponsoren und Zuschauer. Und das ging nur mit dem Namen Stuttgart im Rücken. Die Namensänderung war also eine strategische Entscheidung, der Shuttle dagegen ein Tribut an unsere Heimat.
TM: Eure Heimat und die Verbundenheit mit euren Fans macht euch aus. Ich denke sogar, dass es einer der wichtigen Punkte ist, warum der Aufstieg funktioniert hat. Einige hätten den Shuttle aus betriebswirtschaftlichen Gründen wieder abgeschafft. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein rein betriebswirtschaftlicher Ansatz zum Scheitern verurteilt ist. Ein Betriebswirt würde bei uns zum Beispiel sofort die Teigruhe, die Vorteige oder die frische Röstung von Saaten und Nüssen streichen. Wirtschaftliche Überlegungen sind wichtig, dürfen jedoch nicht dominieren. Sportlicher Erfolg und ein intuitives Verständnis für den Verein und seine Fans sind mindestens genauso entscheidend.
JS: Das ist für mich auch der wesentliche Unterschied zwischen familiengeführten Unternehmen und Aktiengesellschaften. Letztere sind primär auf Rendite ausgerichtet. In unserer Region gibt es aber viele mittelständische Betriebe, die unternehmerische Werte hochhalten. Viele davon sind auch als Sponsoren bei uns engagiert und erwarten, dass wir diese Werte ebenso pflegen. Ich bin überzeugt, dass du nicht mehr als Sponsor dabei wärst, wenn du dich mit unseren Werten nicht identifizieren könntest – selbst dann nicht, wenn wir sportlich auf einem höheren Platz stünden.
TM: Das stimmt vermutlich. Wobei ich mich gegen einen höheren Tabellenplatz sicher nicht wehren würde. Aber Fakt ist, dass wir genau wegen eurer Werte seit so langer Zeit Sponsor sind. Ich weiß noch, wie Werner Lang irgendwann auf mich zukam und mir präsentierte, dass es das Ziel vom TVB sei, in die 2. Liga aufzusteigen. Ich habe gedacht – „Na klar, 2. Liga“. Aus der Intensivierung des Sponsorings ist erstmal nichts geworden. Aber dann habe ich gesehen, wie sich der Verein entwickelt. Als du erneut angefragt hast, habe ich sofort zugesagt. Weil es mich enorm beeindruckt hat, dass ein kleiner Ort wie Bittenfeld mit nur 4.200 Einwohnern eine Zweitliga-Mannschaft hat. Also nicht Waiblingen, nicht Cannstatt oder Stuttgart, sondern Bittenfeld. Es sind Familien wie deine und der starke Zusammenhalt, der letztlich der Impuls für unser Sponsoring waren.
JS: Das muss so um 2002 gewesen sein. Da haben wir beschlossen, den Verein professioneller zu gestalten. Unser Ziel war es, einige tausend Euro mehr zu sammeln, um auch mal gemeinsam Essen gehen zu können, Fahrtkosten zu erstatten und professionellere Ausrüstung zu finanzieren. All das zielte darauf ab, eine leistungsfähigere Mannschaft aufzubauen. Wir haben daher ein ehrenamtliches Marketingteam aus ehemaligen und aktiven Spielern aufgebaut. Bei unseren wöchentlichen Meetings haben wir eine Stunde lang diskutiert, welche lokalen Handwerker oder Unternehmen wir ansprechen könnten und danach Karten gespielt und Bier getrunken. Eigentlich sind alle in der nächsten Woche nur wiedergekommen, weil es gesellig und schön war. So hat alles begonnen. In den Jahren 2003 und 2004 sind wir dann zweimal in Folge aufgestiegen. Wir dachten, das wäre der Höhepunkt – mehr als die 3. Liga in Bittenfeld konnte man sich kaum wünschen. Doch im zweiten Jahr in der 3. Liga erlebten wir einen unglaublichen Lauf und gewannen jedes Spiel. Am Saisonende stiegen wir überraschend in die 2. Liga auf, fast so, als hätten wir es nie geplant.
TM: Das heißt, von der 5. bis zur 2. Liga wart ihr im Prinzip die gleiche Mannschaft?
JS: Ja. Rückblickend glaube ich, dass unser Erfolg darauf beruhte, dass wir so ein eingeschworener Haufen* waren. Die Jungs von damals sind heute meine besten Freunde. Unser Ziel war es immer, am Wochenende gemeinsam feiern zu gehen. Die Regel war aber: gefeiert wird nur, wenn wir gewinnen. Also mussten wir gewinnen. Das hat uns zusammengeschweißt und uns schlussendlich zum Sieg geführt. Und dann haben wir mutige Entscheidungen getroffen, die uns vorangebracht haben. Beim ersten Spiel in der 2. Liga haben wir zum Beispiel direkt die Porsche-Arena mit Platz für 6.200 Leuten gemietet. Bedenkt man, dass Bittenfeld nur 4.300 Einwohner hatte und die durchschnittliche Besucherzahl in der 2. Liga damals bei 900 lag, war das ein mutiger Schritt. Wir haben analysiert, dass wir in einer starken Handballregion mit rund 50.000 aktiven Handballspielern sind. Also haben wir den Schritt gewagt.
*Eingeschworener Haufen
Der Begriff „eingeschworener Haufen“ beschreibt eine Gruppe von Menschen, die sich durch eine starke Bindung und gemeinsame Überzeugungen oder Ziele auszeichnet. Sie sind oft durch eine tiefe Loyalität miteinander verbunden und haben sich einem bestimmten Vorhaben oder einer Idee verschrieben.
TM: Als No-Name-Verein habt ihr in der 2. Liga damit gleich mal eine beeindruckende Duftmarke gesetzt.
JS: Und es hat funktioniert: 5.500 Zuschauer beim ersten Spiel. Dann kam im Februar 2007 unser entscheidender Moment gegen TUSEM Essen, dem damaligen Erstligaabsteiger. Wir lagen nach einer Viertelstunde mit 4 zu 13 zurück. Es war unser größter Tag – die Halle war mit 6.200 Menschen ausverkauft. Ich stand neben Alex Heib und bemerkte, wie peinlich der Rückstand an einem so großen Tag war. Doch dann begann die Aufholjagd, die ich immer gerne als „Hollywoodmoment“ bezeichne. Tor für Tor kämpften wir uns heran und übernahmen in der letzten Spielminute erstmals die Führung. Als wir dann gewannen, tobte die ganze Arena. Die Bildzeitung schrieb später von einer Stimmung, die besser sei als bei der Handball*-WM. Dieses Spiel war so wichtig für uns, denn es hat dazu geführt, dass wir die Unterstützung von jedem Unternehmer erhalten haben, den wir danach getroffen haben. Das hat uns wiederum geholfen, von einem schwachen Zweitligisten zu einem Zweitligisten an der Spitze aufzusteigen. Danach folgten der Umzug nach Stuttgart, der Aufstieg in die erste Liga und die Namensänderung.
TM: Ihr habt Mut bewiesen. Aber nicht blind, sondern mit viel Abwägen und Kommunikation. In der Zeit habt ihr einen wichtigen Unterbau geschaffen, der heute noch da ist. Aber was mich jetzt interessiert: Wie schafft man es, dass man zweimal mit der gleichen Mannschaft aufsteigt? Jede höhere Liga hat ja auch eine ganz andere Qualität.
*Handball
Handball ist eine beliebte und dynamische Mannschaftssportart, bei der zwei Teams durch Werfen eines Balls ins gegnerische Tor punkten. In Deutschland existieren etwa 4.500 Handballvereine mit rund 750.000 Spielern. Die höchste Spielklasse, die LIQUI MOLY Handball-Bundesliga, wurde 1966 gegründet und besteht aus 18 Mannschaften, die in einer Doppelrundenserie gegeneinander antreten. Diese Liga gehört zu den stärksten weltweit.
JS: Ich muss fairerweise sagen, dass der Unterschied zwischen den Oberligen nicht sehr groß ist. Hinzu kam, dass wir damals eigentlich schon extrem stark waren, wir waren nur zu jung. Wir hatten mehrere aufstrebende Spieler. Der größte und überraschendste Aufstieg war eher der von der 3. zur 2. Liga. Das haben wir dann auch ungelogen eine Woche lang gefeiert, im Innenhof der Gebäudereinigung Gantner in Bittenfeld. Die Nacht von Sonntag auf Montag haben wir durchgemacht. Wir haben im Dorf ein Schild aufgestellt mit der Aufschrift „Aufstiegsfeier. Jeder ist willkommen. Bierspenden erwünscht“. Das Ergebnis war, dass wir am Montagabend noch 200 volle Bierkästen hatten. Also mussten wir weiter feiern. Am Dienstag war das Bier dann weniger, aber das spanische Lokal im Ort hat eine riesige Paella für uns zubereitet, also „mussten“ wir auch am Dienstag feiern. Am Mittwoch brachte uns ein lokaler Vertreter von einer Biermarke einen Lastwagen voll Bier. In den folgenden Tagen gab es Spanferkel, Spaghetti, Pizza und der gesamte Ort feierte mit. Wir konnten also gar nicht aufhören. Jeder, der damals dabei war, wird diese Woche niemals vergessen.
TM: Genau das ist es, was wirklich zusammenschweißt. Solche Ereignisse erlebt man nur auf dem Dorf. Jetzt seid ihr mittlerweile in der ersten Liga. Und damit kamen auch einige Leuchtturm-Spieler ins Team. Ich erinnere mich zum Beispiel noch, wie du mich im Auto angerufen hast und meintest, wir bräuchten bis Freitag einen bestimmten Betrag, um Jogi Bitter zu verpflichten. Einen so herausragenden Spieler zu bekommen, ist keine kleine Herausforderung.
JS: Das war in unserem ersten Jahr in der 1. Liga. Es sah leider stark danach aus, dass wir, wie so viele Aufsteiger damals, wieder absteigen würden. Mitten in der Saison ging der HSV Hamburg insolvent, und plötzlich war der Weltmeistertorhüter von 2007, Jogi Bitter, verfügbar – eine Gelegenheit, die sich normalerweise nicht bietet. Ich dachte mir, „probieren kannst du’s ja“ und rief ihn an. Ich erinnere mich noch genau an meine Frage: „Jogi, bitte versteh das nicht falsch, aber könntest du für ein halbes Jahr zu uns kommen und uns helfen, in der Liga zu bleiben?“ Finanziell mussten wir irgendwie schauen, wie wir das gestemmt bekommen. Doch der Name Jogi zog bei den Sponsoren. Ein paar Tage mit Schweißperlen auf der Stirn später war alles geklärt und er sagte zu. Ursprünglich nur für ein halbes Jahr. Es hat ihm jedoch so gut bei uns gefallen, dass er noch länger geblieben ist. Und siehe da: wir blieben in Liga 1. Das war einer der mutigen Schritte, die wir unternommen haben. Ein weiterer kühner Schritt folgte dann während der Corona-Pandemie, als wir beschlossen, fortan nur noch in der größeren Porsche-Arena* mit bis zu 6.211 Plätzen zu spielen, statt in der SCHARRena, die ein Stammpublikum von 2.000–2.500 Personen hatte. Das war notwendig, um uns langfristig in der Liga zu etablieren und mit den größeren Teams mithalten zu können.
*Porsche-Arena
Die Porsche-Arena, eröffnet am 27. Mai 2006, ist Teil eines umfangreichen Sport- und Eventzentrums neben der Hanns-Martin-Schleyer-Halle in Stuttgart. Der TV Bittenfeld spielte 2006 sein erstes Spiel in der 2. Bundesliga in der Porsche-Arena. Seit der Saison 2021/2022 finden alle Heimspiele des inzwischen in TVB Stuttgart umbenannten Vereins in dieser Arena statt. Mit einer Kapazität von bis zu 6.211 Zuschauern und modernster Technik ausgestattet bietet die Porsche-Arena genug Platz für den mittlerweile Erstligisten.
TM: Was sind eure nächsten ambitionierten Ziele?
JS: Die Marke TVB Stuttgart zu etablieren. Uns gibt es bereits seit 10 Jahren. Um eine Marke im Sport zu etablieren, braucht es mindestens eine Generation. Es ist viel Wert, wenn ein Vater mit seinem Sohn ins Stadion geht und ihm erzählen kann, dass er das bereits mit seinem Vater gemacht hat. Daran arbeiten wir. Und natürlich daran, dass wir einen Platz in den Top 10 erreichen.
TM: Auf diesen Weg freue ich mich jetzt schon. Vielen Dank, dass du heute Gast auf meiner Ofenbank warst. Bevor ich dir für das nächste Heimspiel gegen Balingen viel Glück wünsche, lass uns nochmal die werbetrommel rühren, damit die Porsche-Arena bis auf den letzten Platz gefüllt ist.
JS: Jede Unterstützung zählt! Am 17. Mai wirst du auch live dabei sein. Deine Werbung erscheint vor dem Tor und auf der Stadionbande, und erstmals wird unser Trikot das „Maurer“-Logo tragen.
TM: Das macht uns stolz, auch wenn das Logo nur für einen Tag auf dem Trikot ist. Viele unserer Mitarbeiter werden ebenfalls im Stadion sein – sogar mit eigenen Trikots. Wir freuen uns auf das Event und darauf, den TVB Stuttgart und unsere gemeinsame Heimat weiter voranzubringen.
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