Die ersten Messer mit metallischen Klingen gab es vor rund 10.000 Jahren. Von da an entwickelte sich das Messer unaufhaltsam zum wohl bedeutendsten Werkzeug der Menschheitsgeschichte. Es prägte Kulturen und wurde sogar zum Statussymbol. Wir wollten mehr über die Kunst des Messerschmiedens erfahren und statteten dem Winnender Traditionsunternehmen Giesser einen Besuch ab.
Um die Bedeutung des Messers für die wirtschaftliche Kraft des deutschen Handwerks besser zu verstehen, reisen wir zurück ins England des 19. Jahrhunderts.
Sheffield, zu jener Zeit Hochburg der stahlverarbeitenden Industrie, wehrte sich gegen viele Erzeugnisse aus dem Ausland. Die in Deutschland produzierte Messer, deren Herstellungsweise als „Sheffield made“ bezeichnet wurden, waren den Angelsachsen ein Dorn im Auge. Im Jahr 1887 beschlossen die Engländer daher, die aus Deutschland importieren Messer abschätzig als „Made in Germany“ zu bezeichnen. Was ursprünglich als Brandmarkung gedacht war, erwies sich als stumpfe Aktion und führte genau zum Gegenteil: Durch handwerkliche Präzision und eine ordentliche Portion Fleiß und Erfindergeist wurden Menschen auf der ganzen Welt scharf auf die in Deutschland gefertigten Messer und Produkte.
400.000 Klingen – klingt nach bester Lieferfähigkeit!
Mehr als hundert Jahre vor „Made in Germany“ war Johannes Giesser einer der Pioniere, der mit seinem Tun einen Teil zum Aufstieg Deutschlands beigetragen hat. Schon damals nicht großspurig aber mit großem Herzen und einigem Mut. Denn das Winnenden von damals war in keinster Weise mit der Großen Kreisstadt von heute zu vergleichen.
1693 war Winnenden von Armee-Einheiten des französischen Königs Ludwig XIV fast vollständig niedergebrannt worden. Inmitten der beschwerlichen Zeiten des Wiederaufbaus beantragte Johannes Giesser im Jahr 1776 die Aufnahme als Bürger und Messerschmied. Keine vier Wochen später war es dann so weit und in Winnenden wurde mit der Herstellung von Messern und Schneidwaren begonnen.
Heute sind es immer noch „echte Giesser“, die
an der Spitze der Messerfabrik stehen. Wir treffen Urururururururenkel Hermann Giesser, der das Unternehmen heute leitet. Sein Bruder Hans-Joachim war bis März dieses Jahres über 40 Jahre lang an seiner Seite und ist nun altersbedingt ausgestiegen. Durch sie lebt nicht nur die Familientradition, sondern auch die Kultur im Hause Giesser weiter. Zur Messerfabrik passend kann man sagen, dass man immer dann am besten abschneidet, wenn man bei dem bleibt, was man am besten kann. Deshalb entwickelt und fertigt Giesser Messer für den professionellen Einsatz. Die dafür notwendige Qualität ist gleichzeitig Anspruch an alle Artikel, die vom Unternehmen in die ganze Welt versendet werden. Im ganz positiven Sinne sind Giesser-Messer nicht nur „Made in Germany“, sie sind sogar „Made in Winnenden“.
Aller guten Dinge sind 3. Und 1/2!
Unter den rund 110 Mitarbeitern am Standort Winnenden-Hertmannsweiler sind 18 gelernte Messerschmiede tätig, was die weltweit höchste Dichte darstellt. Dennoch sieht Hermann Giesser diesen Spitzenplatz auch mit einem weinenden Auge, bedeutet er doch, dass der Beruf Messerschmied nahezu ausgestorben ist. In einem Nebensatz bemerkt er dazu, dass selbst wenn der Ausbildungsberuf in naher Zukunft nicht mehr angeboten werden sollte, er diese so wertvolle Ausbildung selbst anbieten wird. Denn genau wie Tobias Maurer sagt, dass der Bäckerberuf für ihn eine Herzenssache sei, gilt das bei Hermann Giesser für den des Messerschmieds. „Du backsch für dei Leba so gern Brot, wie i Messer schmied“ sagt er.
Natürlich kann man etwas Gutes immer noch besser machen. Man kann die viel zitierte Extrameile gehen oder die viel zitierte Schippe drauflegen. Und natürlich müssen Profimesser den Profiköchen, Metzgern und Gastronomen gerecht werden. Aber jeder ehrliche Handwerker weiß auch, dass das perfekte Produkt schlicht unbezahlbar ist. Ein Messer von Giesser ist daher immer genau von der Qualität, die das Optimum für Profis darstellt: hervorragend in der Schärfe, ausgewogen in der Handhabung, enorm lange haltbar und immer zu einem angemessenen Preis. Diese Faktoren sind es, die nur wirklich gut ausgebildete Messerschmiede in Einklang bringen können. Die dabei verwendeten Materialien sind kein Geheimnis. Rostfreier Stahl für die Klinge und Holz bzw. Kunststoff für den Griff. Beim Bäcker ist es Mehl, Wasser, Hefe und Salz. Mehr braucht man nicht für ein hervorragendes Produkt. Den Unterschied macht die Art der Herstellung. Auch im Hause Giesser ist es das seit über Generationen weitergegebene Handwerk, das den Unterschied macht. Hinzu kommen der Anspruch, sich selbst immer treu zu bleiben, und natürlich die allseits bekannte Tugend Fleiß.
Schärfe für Giessers Freude: DAS »Yobocho«
Die größte Aufgabe ist, in einer immer schneller werdenden Welt die Tradition weiterzugeben. Denn auch bei der Herstellung von Messern wird immer mehr arbeitserleichternde Robotik eingesetzt. Jede Maschine ist allerdings nur so präzise wie der Lehrer, der sie programmiert. Deshalb ist die handwerkliche Ausbildung eine wichtige Voraussetzung für jeden Arbeitsschritt, was sich auch positiv auf die Qualität des Endprodukts auswirkt. Das ist beim Messerschmied dasselbe, wie bei einem Bäcker oder allen anderen traditionellen Handwerksberufen, die sich in Richtung digitaler Industrialisierung aufmachen. Egal, wie man Vorgänge theoretisch beschreiben oder aufs Hunderttausendstel messen kann – nichts ersetzt das grundlegende menschliche Gefühl einer soliden Ausbildung.
Die Ausbildung zum Messerschmied dauert dreieinhalb Jahre – ein halbes Jahr länger, als bei anderen Ausbildungsberufen. Das kann durchaus einer der Gründe dafür sein, dass Schärfe eine Eigenschaft wird, die man fühlt. „Natürlich ohne sich dabei zu schneiden“, fügt Hermann Giesser lachend hinzu, während er mit dem Finger souverän über die Schneide eines Messers gleitet.
Ganze sieben Auszubildende zur „Fachkraft Messerschmied“ gibt es in Deutschland, drei davon bei Giesser. Sie lernen alles, was es zur Herstellung vom Taschenmesser bis zum Brotmesser braucht – von der Stahlauswahl bis zur Griffherstellung. Alle Azubis haben ihren eigenen Arbeitsplatz. Ganz stolz ist Hermann Giesser auf die eigene Lehrwerkstatt, in der die verschiedenen Schneidewerkzeuge noch klassisch von Hand hergestellt werden. „Nur so kann ein umfassendes Verständnis für die Herstellung vermittelt werden“, ist Hermann Giesser überzeugt.
Auch wenn im ganzen Unternehmen die schwäbische Bescheidenheit spürbar ist, bekommt man auf Nachfrage auch Beispiele erzählt, die Giesser zu einem echten Winnender Vorzeigeunternehmen machen. So hat zum Beispiel die deutsche Nationalmannschaft der Metzger „Butcher Wolfpack“ bei der Weltmeisterschaft im kalifornischen Sacramento mit Messern von Giesser den ersten Platz belegt. Und die „Wildbakers“ Johannes Hirth und Jörg Schmid waren vom Giesser-Brotmesser so überzeugt, dass sie es unbedingt in ihrer Sendung haben wollten. Dass zusammen mit Starkoch Ralf Jakumeit die Premiumcut-Messerserie ins Leben gerufen wurde, ist ein weiterer Beweis dafür, wie begehrt die Messer aus dem Hause Giesser auch bei ganz prominenten Vertretern sind. Bäckermeister und Brotsommelier Tobias Maurer hat nicht nur sein ganz persönliches Brotmesser, das er hütet wie einen Schatz, auch in allen Bäckerei-Cafés vertraut er auf die Qualität von Giesser-Messern.
Brotmesser ganz nach Maurers Geschmack
Dazu gehört auch die Lieferfähigkeit. Eine Bestellung wird bei Giesser innerhalb von 24 Stunden ausgeliefert. So begeben sich täglich bis zu 8.000 Messer auf ihren Weg zu den Kunden. Insgesamt sind 2.500 verschiedene Artikel im Sortiment. 400.000 Klingen und 300.000 fertige Messer liegen im Lager. Giesser hat in ganz Deutschland die höchste Eigenfertigungsquote, was eine maximale Flexibilität und Unabhängigkeit ermöglicht. „Gerade in den vergangenen Jahren war das Gold wert“, bemerkt ein diesbezüglich sichtlich beruhigter Hermann Giesser.
Optimaler Schärfetest: Man lässt eine Tomate aus einem halben Meter Entfernung auf eine Klinge fallen. Wenn sie mühelos in zwei Teile geschnitten wird, ist die Klinge scharf.
Damit ein Messer lange scharf bleibt, empfiehlt sich das Schneiden auf einem Holzbrett. Das ist nicht nur gut für die Klinge, sondern auch hygienischer. Zum Reinigen reichen Wasser und eine Bürste. Das darf während eines Kochvorgangs gerne auch mehrmals wiederholt werden. Wenn Lebensmittel und insbesondere Salz länger auf der Klinge bleiben, schadet das dem Messer und es sollte schnellstmöglich wieder gespült werden. Auf gar keinen Fall darf ein Messer in die Spülmaschine, denn die Chemikalien im Spülmittel machen die Schneide stumpf. Das Messer sollte regelmäßig gewetzt und bei Bedarf auch mal geschliffen werden.
„Ein Giesser-Messer kann man also auch ganz beruhigt mit auf eine einsame Insel nehmen“, findet Hermann Giesser. Auf Tobias Maurers Frage, welches Messer das denn sei, kommt die Gegenfrage, ob er denn mitkäme. „Nein!“, schließlich habe er hier ja noch einiges zu tun. „Schade, dann wird es kein Brot geben. Dann brauche ich also kein Brotmesser und nehme das Yobocho mit. Das ist unser Alleskönner. Ich mag, wie es in der Hand liegt. Mit dem habe ich einfach ein tolles Gefühl.“
Den vielen Generationen der schwäbischen Unternehmerfamilie Giesser war immer bewusst, dass man sparsam mit den Ressourcen umgehen muss. „Man kann alles für etwas brauchen“, hat sicher jeder in der Region schon mal gehört. Deshalb wird bei Giesser stetig daran gearbeitet, die Prozesse zu Kreisläufen weiterzuentwickeln. Zum Beispiel werden die Kunststoffreste bei der Griffherstellung gesammelt und wieder verarbeitet. Der komplette Schleifschlamm wird zu Pellets gepresst, die dann eingeschmolzen und wiederverwendet werden. Und für die Wärmeerzeugung in den Produktionshallen werden keinerlei fossile Brennstoffe mehr genutzt. Stattdessen wird auf Prozessenergie, Solarenergie und Wärmepumpen gesetzt.
… wer hat die schönsten Messer im ganzen land?
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